Keine pauschale Mietminderung bei vorübergehender Geschäftsschließung wegen Corona-Pandemie



Mit einer Absage an das OLG Dresden hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 nunmehr entschieden – wie zuvor bereits das OLG Hamm; wir berichteten zum Urteil vom 24.09.2021 – 30 U 114/21 –, dass einem Gewerberaummieter im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete zustehen kann, dies aber nicht bedeute, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Maßgeblich sei vielmehr eine Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, sodass sich eine pauschale Betrachtungsweise verbiete.

 Der Sachverhalt

Die Beklagte hat von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet. Aufgrund der sich verbreitenden COVID-19-Pandemie erließ das zuständige Ministerium im März 2020 eine Allgemeinverfügung, aufgrund derer die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im Mietobjekt vom 19.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 schließen musste. Infolge der behördlich angeordneten Betriebsschließung entrichtete die Beklagte für den Monat April 2020 keine Miete. Nachdem die Beklagte in 1. Instanz vom Landgericht Chemnitz zur Zahlung der vollen April-Miete verurteilt worden ist, hob das OLG Dresden das Urteil in der Berufungsinstanz auf und verurteilte die Beklagte stattdessen zur Zahlung der Hälfte der Miete, da die mit der pandemiebedingten Geschäftsschließung verbundenen Belastungen gleichmäßig auf beide Mietvertragsparteien zu verteilen seien, weil keine der Parteien eine Ursache für die Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt habe..

Die Entscheidungsgründe

Dieser pauschalen „50 %-Lösung“ des OLG Dresden hat der BGH nunmehr erwartungsgemäß eine Absage erteilt.

In seinem Urteil schließt sich der BGH zunächst der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum an, wonach die behördliche Untersagung der Öffnung des Betriebes wegen der COVID-19-Pandemie keinen Mangel der Mietsache im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB darstellt, weil die damit zusammenhängende Gebrauchsbeschränkung nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache beruht, sondern an den Geschäftsbetrieb des Mieters anknüpft und damit dessen Verwendungsrisiko betrifft.

Sodann bezieht der BGH, wie von ihm erwartet wurde, Stellung zu der Frage, ob und ggf. in welchem Umfang in Fällen wie dem vorliegenden, ein Anspruch des Gewerberaummieters auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.

Gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Nach überzeugender Auffassung des BGH sind die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB erfüllt. Durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens habe sich die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag schwerwiegend geändert. Zudem enthielt der Mietvertrag auch keine vertragliche Bestimmung, wonach die Beklagte das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung ihres Einzelhandelsgeschäfts übernommen hat, welche das Berufen auf eine Störung der Geschäftsgrundlage ausschließen würde. Schließlich könne mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch davon ausgegangen werden, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsabschluss die Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr einer hoheitlich angeordneten Betriebsschließung vorausgesehen und bedacht hätten.

Jedoch rechtfertige nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung. Nach Ansicht des BGH komme eine Anpassung zugunsten des Mieters jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn ihm ein unverändertes Festhalten an der vertraglich vereinbarten Miethöhe unter Abwägung aller Umstände einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung zumutbar ist.

Auch wenn die mit einer pandemiebedingten Betriebsschließung verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem grundsätzlichen Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeute dies nicht, dass dem Mieter das Festhalten an dem unveränderten Vertrag stets unzumutbar ist. Dies bedürfe einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Eine pauschale Betrachtungsweise werde den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb komme eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht.

Der BGH stellt sodann die folgenden „Parameter“ auf, die vom jeweiligen Instanzgericht bei der Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen seien:

Bei der vorzunehmenden Abwägung sei zunächst von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei. Zu berücksichtigen könne auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Da eine Vertragsanpassung aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen dürfe, seien bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat (staatliche Leistungen in Form eines Darlehens bleiben unberücksichtigt). Auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters könnten zu berücksichtigen sein. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters sei dagegen nicht erforderlich.

Schließlich seien bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Dabei obliege es grundsätzlich der Vertragspartei, die sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage beruft, nachzuweisen, dass ihr ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist. Im Fall einer pandemiebedingten Geschäftsschließung müsse daher der Mieter darlegen und ggf. beweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machen, und welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, müsse er darlegen und ggf. beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Gelingt ihm dies nicht, müsse er sich so behandeln lassen, als hätte er die staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten.

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